Gewalt

Eines der Yama des Yoga, die Richtlinien für den Umgang mit anderen Lebewesen ist Ahimsa, die Gewaltlosigkeit. Damit ist nicht nur die körperliche Gewalt gemeint, sondern auch die verbale und die gedachte.

Die Ambivalenz der Gewalt

Wir haben heutzutage ein höchst ambivalentes Verhältnis zur Gewalt. Auf der einen Seite scheint sich die Sichtweise durchzusetzen, dass körperliche Gewalt abzulehnen ist und sanktioniert gehört. Letzte Entwicklungen waren etwa die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe, das Schlagen von Kindern, die Änderung des Strafrechts in Bezug auf sexuelle Übergriffe. Auch wer sich gegen körperliche Gewalt mit ebensolcher zur Wehr setzt, wandert auf einem schmalen Grat.

Auf der anderen Seite aber sind wir von allen Seiten der Darstellung körperlicher Gewalt ausgesetzt. Selbst die relativ biedere Abendunterhaltung im Fernsehen strotzt vor Gewalt. Bei Kinofilmen ist es noch krasser. Und es gibt kaum ein Videospiel, das einen Plot ohne Gewalt anbietet.

Ich halte Gewalt in den Medien besonders dann für problematisch, wenn sie als besonders realistisch, banal, sprich alltäglich daher kommt. Dies halte ich für schlimmer als die übertriebenen unrealistischen Gewaltdarstellungen wie etwa in einem Tarantino Film.

Gerechtigkeit durch Gewalt?

Etwas fällt aber immer auf an der Darstellung von Gewalt. Sie wird immer als einziges und gerechtfertigtes Mittel zur Wiederherstellung des Friedens dargestellt. Von Gnade oder Verzeihen keine Spur. Als klassisches Beispiel des Kinogenres ist der omnipotente männliche Rächer, der loszieht, um seine kleine Tochter zu rächen. Meist ist das was er den Tätern antut ungleich grausamer, als das was der Auslöser der Racheorgie war. Blut muss immer mit Blut ausgewaschen werden. Sonst ist keine Wiedergutmachung möglich.

Ich las vor einiger Zeit einen Artikel (leider finde ich ihn nicht mehr) in dem dargestellt wurde, inwieweit die politische Situation mit den jeweiligen Hollywoodfilmen korreliert. Und siehe da, wenn die Bevölkerung auf militärische Maßnahmen vorbereitet werden soll, werden die Darstellungen von Gewalt und besonders die Rachestories drastischer und häufen sich. Die Entstehung von Saw fällt mit der Reaktivierung der Folter als Verhörmethode vonseiten der USA zusammen.

Ein Schelm wer Arges dabei denkt.

Ich habe nicht den Eindruck das sich viele Film- und Fernsehkonsumenten Gedanken darüber machen, inwieweit sie über diese Medien manipuliert werden.

Besonders die Tatsache, dass Gewalt in ALLEN populären Medien immer, als der einzig gangbare Weg der Wiederherstellung des Status Quo dargestellt wird, stößt mir ausgesprochen sauer auf.

Vergebung anstelle von Rachefeldzug

Man stelle sich mal einen John Wick vor, der nach dem Tod von Frau und Hund hingeht und dem Unterwelt Boss seine Vergebung gewährt und lediglich Buße von diesem verlangt. Dieser Gedanke erscheint geradezu revolutionär und nahezu unglaublich. Um nicht zu sagen unvorstellbar.

Oder noch fantastischer: eine USA, die als Reaktion auf den 09/11 Anschlag nicht nur Vergebung gewährt, sondern auch um Vergebung bittet.

Wir wissen ja alle was passiert ist. Man konnte geradezu den Eindruck haben, dass dieser Anschlag ein willkommener Anlass war, die Welt mal wieder in eine Spirale der Gewalt zu stürzen, die gerade wieder einen erneuten traurigen Höhepunkt in Afghanistan gefunden hat.

Wie ich ja eingangs schon bemerkte haben wir ein zutiefst ambivalentes Verhältnis zu Gewalt. Helden assoziieren wir praktisch immer mit Gewalt. PazifistInnen tun wir als Spinner ab. Gewalt halten wir für unterhaltsam, Friede, so glauben wir sei langweilig.

Mediale Gewalt bestimmt unser Verhältnis zu ihr

Ich möchte jeden dazu auffordern, einmal in sich zu gehen und sich zu fragen, inwieweit sein Verhältnis zur Gewalt durch die mediale Darstellung bestimmt wird. Und ob sie wirklich so eine gute Unterhaltung bietet. Zweifel daran, ob ständige Gewaltausübung, ob nun virtuell oder tatsächlich wirklich notwendig ist, um den Alltag interessant zu gestalten, kann zumindest aufkommen.

Mir selbst ist diese Ambivalenz mit Nichten fremd. Auch ich nutze bestimmte Filme gern mal zum Aggressionsabbau. Die Frage ist nur wie bewusst man sich seiner eigenen Beweggründe ist und ob man willens ist auch sein eigenes Handeln zu hinterfragen. Und ob man es zulässt, dass ein zunehmendes Schwarz-Weiß denken von einem selbst Besitz ergreift. Ob man gewillt ist Gewalt gegen anders Denkende, andere Lebensweisen etc. für ein probates Mittel zu halten.

Oder ob man es trotz jeder Propaganda schafft im Gegenüber in erster Linie einen verängstigten Menschen zu erkennen und nicht den dämonisierten Feind.

Die Anderen – Othering

Im Englischen nennt man diese Mechanismen „Othering“. Es lohnt sich, sich näher mit diesem Thema auseinander zu setzen. Die Erkenntnisse über Othering gewähren interessante Einblicke in die menschliche Psyche und erklären sowohl, wie es zu physisch gewalttätigen Gräueltaten kommen kann, als auch zu Mobbing.

In der Gesellschaft scheinen mir im Moment vorherrschend zwei Entwicklungen zu beobachten zu sein. Einerseits sind die Opfer von Gewalt immer weniger bereit, sich zu schämen und sich selbst die Schuld an ihren Erfahrungen zu geben. Dies ist Selbstermächtigung im besten Sinne.

Parallel dazu scheint aber die Bereitschaft selbst gewalttätig zu werden bei vielen Menschen immer größter zu werden. Und zwar spreche ich hier von verbaler Gewalt. Diese verbale Gewalt wird immer dann ausgeübt, wenn der /die Ausübende fälschlich glaubt, dafür nicht belangt werden zu können. Bevorzugter Raum hierfür ist das Internet. Nicht nur nimmt die Form als auch die Häufigkeit solcher Entgleisungen immer mehr zu. Aber auch am Telefon. Klingt erstmal seltsam: Ich beziehe mich hier auf eigene Erfahrungen. Immer mehr der GesprächspartnerInnen mit denen ich zu tun habe, lassen jeglichen Respekt vermissen.

Der Grund scheint der Wegfall von sozialer Kontrolle zu sein. Früher konnte man im eigenen Umfeld schon mal zur Persona non grata erklärt werden, wenn man sich daneben benahm. Dieses Umfeld fehlt heute schlicht. Oder aber die betreffenden Personen bewegen sich in einem Umfeld, das sie glauben macht, ihr jeweiliges Verhalten sei normal. Beziehungsweise gerechtfertigt, da die angegriffene Person die im eigenen Umfeld favorisierten Überzeugungen nicht teilt.

Realität, oder nicht?

Einherzugehen scheint dies auch mit einem Realitätsverlust, welcher aus einer Überforderung durch die komplexe Wirklichkeit resultiert. In den 50ern konnte man aufgrund mangelnder Zugänglichkeit von Informationen noch glauben, Kernkraft sei ungefährlich und sauber. Heute sind so viele Informationen zugänglich, dass es viele Menschen offenbar nicht mehr schaffen Meinung von Wissenschaft zu unterscheiden. Man baut sich ein bestimmtes Glaubensgerüst auf und alles dem widersprechende wird mit Zähnen und Klauen abgewehrt. Gleichzeitig wird eine Art Messias-Überzeugung aufgebaut, alle anderen sind dem Untergang geweiht, außer mir, da ich die richtige Überzeugung besitze. Kommt bekannt vor? Genauso läuft es bei Religionen.

Wie gut dieses Klima für die Gewalt ist, zeigt sich in der Coronakrise, zeigte sich während der Trump Regierung.

Im Grunde ist dieses Verhalten und der Mechanismus der Spaltung aber nichts Neues. Früher im Dorf reichte es schon Evangele oder Katholik zu sein.

Tätliche Gewalt hat einen Ursprung

Die höchste Eskalationsstufe der Gewalt ist die physische, das ist wohl kaum in Abrede zu stellen. Aber sie kommt nicht aus dem luftleeren Raum. Die Bereitschaft zur physischen Gewalt wird durch die verbale Gewalt geschaffen. Verbale Gewalt entmenschlicht das Opfer, macht es zu einem der Anderen (Othering). Sowohl zur Vorbereitung der Gewalt als auch zur Nachbereitung.

Vorbereitung der physischen Gewalt könnten etwa Hasskommentare im Internet sein, mit denen der Täterkreis Opfer auf eine niedrigere Stufe stellt, sodass wenn die physische Gewalt geschieht, sie dem Täter begründet erscheint. Ich möchte das hier mal an einem Beispiel illustrieren, das die Perfidität dieser Vorgehensweise besonders gut verdeutlicht, da das spätere Opfer höchst ambivalent ist.

Der Aufbau einer Gewaltspirale

Jemand, der im Gefängnis saß, weil er ein Kind missbrauchte, zieht an einen bestimmten Ort. Daraufhin wird sein Verbrechen von besorgen Mitbürgern angeprangert. Die Diskussionen im Internet und am Stammtisch schaukeln sich immer mehr hoch. Die vermeintliche Bedrohung wird so lange hochgepeitscht bis es zu dem Gefühl kommt, man müsse etwas „dagegen“ tun. Verbalisierte Gewalt sorgt dafür, dass die betreffende Person nicht mehr als Mensch gesehen wird, sondern als geradezu übermenschliche Bedrohung. Die Tatsache, dass die betreffende Person schon für die fragliche Tat bestraft wurde, eine entsprechende Therapie macht und überhaupt kein erneutes Verbrechen begangen hat, spielt keine Rolle mehr. Entscheidend sind die Gedankenkarusselle, die Geschichten, die sich in den Hirnen der besorgen MitbürgerInnen entspinnen und die gegenseitige verbale Aufstachelung. Bis es in tatsächlicher physischer Gewalt eskaliert. Im besten Falle wird der betreffenden Person nur das Leben vor Ort unmöglich gemacht. Aber, dass sich daraus eine Situation entwickelt, die nur noch als ausweglos betrachtet werden kann und gegebenenfalls dazu führt, dass die Person selbst Hand an sich legt, ist nicht weit weg von der Realität. Im Nachhinein wird der Psychoterror dann kleingeredet: „So einer“ hat bei uns nichts zu suchen. Oder entsprechende Angriffe auf den Menschen, der zur Projektionsfläche der Ängste wurde, schweigend gebilligt.

Diese Schilderung ist nun vollkommen fiktiv und ich habe absichtlich ein Opfer gewählt, das mit wenig Sympathien zu rechnen hat. Um die Bereitschaft von uns allen aufzuzeigen, Menschen als „Andere“ abzustempeln und aus der Gemeinschaft zu verbannen. Die Person ist dann in Bezug auf die entsprechende Gemeinschaft vogelfrei. Jemand der für vogelfrei erklärt wurde, verliert alle seine Rechte.

Politiker werden ihrer Verantwortung nicht gerecht

Umso schlimmer das auch demokratisch gewählte Politiker immer wieder damit spielen und Andere durch verbale Gewalt zu Vogelfreien erklären. Wird die betreffende Person dann tatsächlich verletzt oder getötet, wäscht man seine Hände in Unschuld und behauptet, man sei missverstanden worden.

Nun sollte deutlich geworden sein, warum Ahimsa bei der Gewalt in Gedanken beginnen muss. Die Gedanken formen die Worte. Unsere verächtlich machenden Worte bereiten den Boden für die tätliche Gewalt. Dieser Acker ist umso besser bestellt, je mehr wir die verbalen Entgleisungen unserer Mitmenschen für normal halten und dulden.

Erst kommt die Gewalt in Gedanken. Sie drücken sich in gewaltvoller Sprache aus. Die gewalttätige Sprache lässt die Hemmungen vor der tätlichen Gewalt verschwinden. Dadurch kann die physische Gewalt eskalieren.

Wollen wir aus dieser Spirale ausbrechen, gibt es nur einen höchst unbequemen Weg. Nämlich bei uns selbst anfangen. Damit meine ich keine Vogel-Strauss-Politik und kein Eremitentum.

Sei die Lösung nicht das Problem

Hinterfrage dich selbst! Nehme wahr, wenn du gewalttätig in Gedanken und Worten wirst. Und mach es beim Nächsten mal besser. Niemand wird es schaffen von einem Moment zum anderen umzuschalten. Du bist kein schlechter Mensch, weil du dein Gegenüber in Gedanken oder mit Worten verfluchst. Aber ein guter Mensch wirst du dadurch, dass du eine gewaltfreie Lösung suchst. Und ja, die Lösung kann darin liegen einfach zu gehen. Zu vergeben und den eigenen Stolz herunterzuschlucken.

Dies soll nicht bedeuten, dass du dir alles gefallen lassen sollst. Aber manchmal spricht ein Schweigen lauter als jedes Wort. Und eine andere Person wertschätzend und respektvoll darauf hinzuweisen, dass ihr Verhalten unangebracht ist, ist kein Zeichen von Schwäche. Wirst du körperlich angegriffen, hast du das Recht dich zu verteidigen. Aber bei einer Provokation hast du die Pflicht dieser aus dem Weg zugehen. Schon aus Selbstschutz.

Vor Jahren half eine junge Frau zwei Mädchen gegen einen Mann aus einer bedrohlichen Situation. Aber anstelle sich dann zurückzuziehen, begann sie ihn zu provozieren. Und leider ist der Stolz junger Männer durch eine Frau sehr leicht zu beschädigen. Er schlug zu, sie fiel so unglücklich, dass sie verstarb. Dieser Abend kannte nur VerliererInnen.

Ich denke, du verstehst, was ich damit sagen will.

Gewalt ist ein persönliches und gesamtgesellschaftliches Problem

Leider lernen die meisten Menschen offenbar nicht, wie man Konflikte oder sogar eine Beziehung ohne Gewalt führt beziehungsweise löst. Dies ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Zum Beispiel tendieren Frauen dazu, sich selbst die Schuld an Gewalt in der Beziehung zu geben. Meist haben sie es von ihren Eltern so gelernt. Und Männer bekommen oft auch keine anderen Strategien an die Hand gegeben als Brüllen und Zuschlagen.

Eigentlich sollten Konfliktbewältigung und Antiaggressionstraining zu Pflichtfächern in den Schulen werden. Denn die Eltern versagen oft, weil sie es selbst nicht besser gelernt haben. Es wird gern argumentiert, besonders bei Frauen, dass die Frau ja selber Schuld sei, weil sie keine Grenzen gesetzt habe. Oder selbst dieses und jenes falsch gemacht habe. Aber die meisten haben halt kein gesundes Selbstwertgefühl, haben nicht gelernt, was es heißt, mit Wertschätzung behandelt zu werden. Verwechseln das mit teuren Geschenken, Tür aufhalten etc.

Die meisten Menschen und besonders Frauen können ihr Gegenüber erschreckend schlecht einschätzen und haben es abtrainiert bekommen auf ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu achten. Das Ergebnis sind toxische Beziehungen.

Selbstwert

Aber man darf nicht glauben, dass Männer ein besseres Selbstwertgefühl hätten als Frauen. Bei ihnen äußern sich die Minderwertigkeitsgefühle nur zumeist anders als bei Frauen. Der Mann teilt aus, die Frau steckt ein. Dies ist das Stereotyp vieler Gesellschaften.

Umso schlimmer, wenn ein Man einmal am empfangenden Ende der Gewalt in einer Beziehung steht. Dann kann er mit Unglauben und Spott rechnen und schon sind wir wieder im Thema.

Verstrickung in Gewalt

Lösen lassen sich die vielfältigen Verstrickungen der Gewalt in unserer Gesellschaft, unserer Beziehungen nur dann, wenn wir bereit sind, uns selbst unbequeme Fragen zu stellen. Und uns selbst zu beobachten und die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.

Sehr häufig liegt die Lösung im „herunterschlucken“ des eigenen Egos. Die Balance von Gehenlassen und Widerstand.

Herauszufinden, aus welchem Grund wir uns von unserem Gegenüber oder einer Sache aufstacheln lassen, ist dabei grundlegend. Oft glauben wir für eine gerechte Sache kämpfen zu müssen, bei genauerem Hinschauen stellt man dann aber fest das es wohl doch eher Ego und Stolz waren die uns gekitzelt haben.

Ohne Selbsthinterfragung kommen wir in unserer persönlichen und spirituellen Entwicklung nicht weiter. Aber sich selbst zu hinterfragen gehört zu den unangenehmsten und schwierigsten Tätigkeiten überhaupt. Wir müssen sozusagen unser eigener Supervisor sein.

Unangenehme Erkenntnisse sind garantiert. Fang am besten sofort an damit.

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